29. Juni 2023

Chaos im Kopf Podcast: Frauke Zottmann-Neumeister im Interview

Interview mit Frauke Zottmann-Neumeister in Zusammenarbeit mit dem FASD Fachzentrum Köln.

In der Podcast-Folge reden wir darüber, was passiert, wenn die Jugendhilfe für junge Menschen mit FASD endet. Dabei haben wir so viele sozialrechtliche Fragen angesprochen, dass ich mich entschlossen habe, eine Transkription zur Verfügung zu stellen.

Besprochene Themen

  • Rechtliche Betreuung und Ergänzungspflegschaften
  • Eingliederungshilfe nach dem Ausscheiden aus der Jugendhilfe
  • Finanzierung von Betreuung und Assistenzleistungen
  • Freizeitassistenz auch im Urlaub
  • Bundesteilhabegesetz
  • Grundsatzurteil zur Befristung von Eingliederungshilfemaßnahmen

Wolfgang Werminghausen: Was passiert, wenn die Jugendhilfe für junge Menschen mit FASD endet? Nach dieser Folge hast du sozialrechtliche Zusammenhänge besser verstanden und weißt, was in Zeiten des Übergangs für euch in Bezug auf Leistungen der Eingliederungshilfe wichtig sein könnte. [Musik]

Willkommen zu „Chaos im Kopf“, deinem FASD-Podcast. Mein Name ist Wolfgang Werminghausen. Hier gibt es Geschichten von Menschen mit FASD und deren Zugehörigen und Informationen, die nützen, um gelassener mit FASD zu leben.

Dies ist eine weitere Podcastfolge in Kooperation mit dem Kölner FASD-Fachzentrum. Zu den freien Mitarbeitern, Referenten und guten Seelen des Fachzentrums gehört eine Frau, die mit allen Wassern bezüglich sozialrechtlicher Fragen rund um FASD gewaschen ist. Sie ist heute mein Gast im „Chaos im Kopf“-Podcast. Es wird keine Juravorlesung sein, sondern es geht um die Rechte, die Menschen mit FASD haben, und wie sie umgesetzt werden können. Mein heutiger Gast hat für zahlreiche berufliche und ehrenamtliche Tätigkeiten Auszeichnungen, einschließlich des Bundesverdienstkreuzes, erhalten. Ich werde jetzt nicht ihr Alter verraten, vielleicht tut sie es selbst noch. Ich begrüße Frauke Zottmann-Neumeister.

Frauke Zottmann-Neumeister: Guten Morgen, lieber Wolfgang. Ich freue mich auf den Austausch heute mit dir. Ich bin etwas zurückhaltend, aufgrund meines Alters, aber ich glaube, es ist vielleicht auch für viele Hörer ein wichtiger Beitrag, welche Hilfemöglichkeiten junge Menschen mit FASD haben, um ihr Leben besser meistern zu können.

Wolfgang: Vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst. Ich glaube, du bist beruflich und ehrenamtlich, wie schon gesagt, auch sehr eingespannt und hast immer ein offenes Ohr, auch gerade für Pflegefamilien oder Menschen mit FASD, wie die Situation durch Unterstützung zu verbessern ist. Mit dem Thema FASD bist du schon viele Jahre privat und beruflich unterwegs. Du berätst und unterstützt Familien, die Kinder und Jugendliche mit Behinderung aufgenommen haben, zu ihren Rechten und Ansprüchen. Wie bist du dazu gekommen?

Frauke: Also mit dem Thema FASD bin ich in Berührung gekommen durch die Aufnahme unserer jüngsten Pflegetochter. Sie war damals neun Jahre alt und inzwischen geht sie auf die 30 zu. Wir wussten damals nicht, dass sie FASD hatte, sondern nur, dass sie sehr traumatisiert war und wir wollten einem Kind mit einer schwierigen Vorgeschichte ermöglichen, eine gute Entwicklung zu nehmen, Sicherheit und Geborgenheit geben und dass sie ihre Kindheit bei uns nachholen konnte.

Einfluss auf Gesetzgebung – 03:11

Wolfgang: Ja, und du neigst dazu, unermüdlich nach Lösungen für Probleme zu suchen, und das wird besonders an einem Beispiel deutlich, was du mir im Vorgespräch erzählt hast. Und zwar ist es dir gelungen, Einfluss auf die Gesetzgebung der Bundesrepublik zu nehmen. Magst du das erzählen?

Frauke: Während meiner damaligen Tätigkeit bei der Diakonie in Düsseldorf war ich unter anderem für den Bereich Adoption und Pflegekinder zuständig. Wir wurden immer wieder angefragt, auch für Kinder mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen, Pflegefamilien zu finden. Ich war der Ansicht, dass man eine solche Hilfe nur vorhalten kann, wenn man sich hier spezialisiert und Mitarbeiter entsprechend weiterbildet und auch die zeitlichen Ressourcen hat, um diese Familien zu begleiten. Das ging nicht mit einer Fallzahl von 1 zu 30. Ich habe den Vorschlag unserem Vorstand vorgelegt, solche Hilfsangebote zu entwickeln, und habe den Zuschlag bekommen, mich damit zu befassen. Ich habe ein Konzept entwickelt mit ausreichenden Entlastungsangeboten für Pflegefamilien. Ich habe dieses Konzept dem Landes-Jugendamt und Landes-Sozialamt vorgestellt. Sie haben mir abgeraten und gesagt, dafür gibt es keine Rechtsgrundlage und außerdem würde man keine Familien finden, die Kinder mit solch schweren Beeinträchtigungen aufnehmen würden. Das hat mich nicht davon abgehalten. Ich habe gesagt: „Und wenn ich in einem Jahr nichts anderes mache als nach einer Familie für ein Kind zu suchen, dann hat sich diese Arbeit schon gelohnt.“ Durch Familien, die ich früher in der Pflegekinderarbeit begleitet habe, habe ich auch Familien für die Kinder gefunden, für die wir angefragt wurden. Leider habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Kostenträger oft die Finanzierung abgelehnt haben, da es keine Rechtsgrundlage dafür gab. Damit konnte ich mich aber nicht zufriedengeben und habe gesagt: „Wir haben eine Verfassung, wonach kein Kind wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf.“ Und ich habe ein Positionspapier entwickelt, das ich an sämtliche Bundestagsabgeordnete geschrieben habe. Das wurde dann von der damaligen Behindertenbeauftragten und auch vom Vorsitzenden der Kinderkommission aufgegriffen. Sie haben Kontakt zu mir aufgenommen, und wir haben in Düsseldorf eine Bundestagstagung organisiert. Und ein Jahr später wurde ich dann nochmal nach Berlin zum Fachgespräch eingeladen, wo ich noch einmal die Rechtssituation von Kindern mit Behinderung dargestellt habe. Und 2009 wurde das SGB IX um den Paragraphen 54 Absatz 3 erweitert, der die Unterbringung von Kindern mit Behinderung in Pflegefamilien regelt. [Anmerkung: Wolfgang Werminghausen: Das wird inzwischen im SGB IX § 80 „Leistungen zur Betreuung in einer Pflegefamilie“ geregelt.] Und das ist eine Rechtsgrundlage für dieses Ziel, ein Angebot für Kinder mit Behinderung vorzuhalten und zu entwickeln, an dem sich auch die unterschiedlichen Träger in der Bundesrepublik beteiligt haben.

Wolfgang: Da hat eine einzelne Frau aus der Diakonie, also bei einem Sozialträger angestellt, die keine Juristin ist, die Gesetzgebung verändert. Das ist schon ungewöhnlich, glaube ich.

Frauke: Meine Devise in meinem Leben ist, wenn ich erlebe oder erfahre, dass ein Kind oder ein Mensch in einer schwierigen Situation ist und Hilfe benötigt, dass ich mich dafür einsetze, dass er diese Hilfe bekommt. Es ist oft so, dass ein Stein im Weg liegt, den ich überwinden oder umgehen muss. Aber ganz wichtig ist, wenn ich davon überzeugt bin, dass dieses Kind Unterstützung braucht, setze ich mich dafür ein. Und wenn ich zunächst eine Ablehnung erhalte, ist das für mich kein Problem. Dann muss ich andere Wege beschreiten. Ich formuliere auch Widersprüche für Kinder oder junge Menschen mit Behinderung, weil sie Leistungsanträge gestellt habe, die abgelehnt worden sind. Ich habe auch keinen Skrupel, Klage zu erheben für die Betroffenen. Das heißt, ich schreibe Entwürfe oder der Vormund stellt dann den Antrag. Aber ich berate und begleite sie dabei. Und wenn wir dann immer noch nicht durchkommen, gibt es die Möglichkeit, sich an die Behindertenbeauftragten der Länder und an die Politiker zu wenden und Unterstützung zu suchen, damit in diesem Einzelfall dieser junge Mensch die benötigte Hilfe erhält.

Rechtliche Betreuung – 08:12

Wolfgang: In diesem ganzen Spektrum von Hilfen und Rechten liegt das Thema rechtliche Betreuung dir sehr am Herzen. Warum?

Frauke: In Deutschland erlangt jeder Mensch mit Vollendung des 18. Lebensjahres die Volljährigkeit. Das bedeutet, dass er ab diesem Zeitpunkt alle Rechte und Pflichten eines Erwachsenen hat und für sein Handeln selbstverantwortlich ist. Ein wichtiger Aspekt der Volljährigkeit ist die Geschäftsfähigkeit. Eine Person, die geschäftsfähig ist, kann wirksame Rechtsgeschäfte abschließen, wie z.B. Arbeitsverträge oder Mietverträge. Sie muss in der Lage sein, die Bedeutung und Tragweite ihrer getroffenen Entscheidungen zu verstehen. Bei unseren jungen Volljährigen, insbesondere bei Kindern oder jungen Menschen mit Behinderung oder FASD, ist es jedoch oft so, dass sie die Tragweite ihrer Entscheidungen nicht verstehen können und auch nicht die Einsicht haben, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Sei es in Bezug auf Finanzen, Versicherungen, Sozialleistungen oder Mietverträge, sie benötigen Unterstützung. Ich empfehle daher Pflegefamilien oder Eltern, mit denen ich zu tun habe, rechtliche Betreuung für ihre Kinder rechtzeitig zu beantragen, mindestens ein halbes Jahr vor Erreichen der Volljährigkeit. Es ist besonders wichtig, wenn die jungen Menschen weiterhin in der Familie bleiben möchten, dass im Bereich Finanzen, Mietverträge und Beantragung von Sozialleistungen eine Ergänzungspflegschaft eingerichtet wird.

Ergänzungspflegschaft – 09:49

Wolfgang: Was ist genau eine Ergänzungspflegschaft?

Frauke: Eine Ergänzungspflegschaft ermöglicht es den Eltern, für bestimmte Bereiche wie z.B. Gesundheitssorge, Abschluss eines Arbeitsvertrags oder Schulbildung die rechtliche Betreuung zu beantragen. Aber für den Bereich Sozialleistungen und Abschluss eines Mietvertrags ist es wichtig, dass jemand anderes dies übernimmt. Insbesondere, wenn der junge Mensch in der Familie bleibt und auf Sozialleistungen oder Grundsicherung angewiesen ist oder Betreuungsleistungen aus der Eingliederungshilfe in Anspruch nimmt. Zum Beispiel können Eltern keinen Mietvertrag mit sich selbst abschließen. Der Mietvertrag dient jedoch als Nachweis für die Zahlung der Unterkunftskosten durch den Sozialleistungsträger. Ebenso können die Eltern keine Betreuungsleistungen beantragen, da sie den Vertrag mit sich selbst abschließen müssten, was nicht möglich ist. Daher ist es wichtig, dass jemand anders diese Bereiche im Rahmen einer Ergänzungspflegschaft übernimmt. Ich empfehle immer, dass dies jemand aus dem persönlichen Umfeld der Familie ist, wie z.B. volljährige Geschwisterkinder, Verwandte, Freunde oder gute Bekannte, die den jungen Menschen mit Behinderung gut kennen und eine gute Beziehung zu ihm haben.

Informationen zur rechtlichen Betreuung – 11:51

Wolfgang: Wie können unsere Hörerinnen und Hörer, insbesondere Pflegemütter und Pflegeväter, an Informationen gelangen, wie sie dies genau umsetzen können?

Frauke: Es gibt unabhängige Teilhabeberatungsstellen, die über die Hilfen informieren, die man in Anspruch nehmen kann, einschließlich der rechtlichen Betreuung.

Wolfgang: Den Link zu diesen Beratungsstellen (EUTB.de) kann ich gerne in die Shownotes stellen. Sie setzen sich dafür ein, dass Menschen mit Behinderung an der Gesellschaft teilhaben können, und Wohnen ist auch ein sehr wichtiger Bereich. Die Betreuungsleistung und die Freizeitgestaltung werden oft mit ihren Ansprechpartnern besprochen.

Frauke: Was die rechtliche Betreuung betrifft, kann man im Internet nach „rechtliche Betreuung“ suchen, um alle Informationen dazu zu erhalten. Es ist möglich, dass der Betroffene selbst oder das Gericht vorschlagen kann, wer die rechtliche Betreuung übernimmt. Aber mir ist es wichtig zu betonen, dass die Bestellung eines Betreuers keine Entmündigung des jungen Menschen ist. Der betreute Mensch verliert dadurch nicht seine Geschäftsfähigkeit. Er kann immer noch selbst wirksame Verträge abschließen und über sein Geld verfügen. Es werden nur bestimmte Bereiche eingerichtet, für die eine rechtliche Betreuung erforderlich ist. Er behält seine volle Geschäftsfähigkeit.

Wolfgang: Ja, das kann ich auch bestätigen. Wir haben Zwillinge als Pflegekinder, die jetzt 20 Jahre alt sind, und wir haben mit 18 Jahren diese gesetzliche Betreuung eingerichtet. Die beiden hatten den Eindruck, dass wenn sie dem zustimmen und das auch selber beantragen, dass sie eher Schutz erhalten, anstatt bevormundet zu werden. Sie fühlten sich geschützt und unterstützt.

Frauke: Es gibt auch die Möglichkeit, eine Vollmacht für verschiedene Bereiche einzurichten. Aber wenn es um die Beantragung von Sozialleistungen geht, empfehle ich eine Betreuung. Bei vielen jungen Menschen erlebe ich das wie bei meiner Tochter. Sie ist froh und dankbar, dass ich beispielsweise mit dem Jobcenter für sie ihre Anträge einreiche oder den gesamten Schriftverkehr übernehme. Das gilt auch für den Träger der Eingliederungshilfe in Bezug auf Betreuungsleistungen oder die Pflegeversicherung, wenn es um Leistungen wie Pflegegeld oder Verhinderungspflege geht. Sie hat also Unterstützung bei diesen Dingen, ist aber nicht eingeschränkt. Sie kann selbst Verträge abschließen und beispielsweise ihr eigenes Handy kaufen. Es ist also keine Einschränkung für sie, sondern sie erfährt Unterstützung in bestimmten Bereichen, um nicht überfordert zu werden.

Wolfgang: Im Zweifelsfall kann man Geschäfte auch rückgängig machen, wie Handyverträge oder ähnliches, die oft zu Schulden führen.

Frauke: Wenn man das möchte, kann ein sogenannter Einwilligungsvorbehalt angeordnet werden. Das muss dann in den Gerichtsbeschluss aufgenommen werden, und der rechtliche Betreuer kann Verträge rückgängig machen.

Eingliederungshilfe – 15:56

Wolfgang: Jugendliche mit FASD leben häufig in Pflegefamilien. Die zuständigen Jugendämter beenden diese Hilfe oft mit Vollendung des 18. Lebensjahres oder nach einer Übergangsfrist von wenigen Jahren. Als Pflegefamilie steht man vor einer Vielzahl neuer Begriffe, zu denen auch die Eingliederungshilfe gehört. Können wir versuchen, diesen Dschungel etwas zu sortieren? Als Erstes: Was ist Eingliederungshilfe? Ich finde den Begriff auch etwas seltsam – „Eingliederung“.

Frauke: Wir haben lange damit zu tun gehabt, und für uns ist es selbstverständlich geworden. Menschen mit Behinderungen benötigen oft Unterstützung in verschiedenen Lebensbereichen, und diese Unterstützung wird insbesondere durch die Leistung der Eingliederungshilfe gewährleistet. Die Eingliederungshilfe steht zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen in bestimmten Lebensbereichen zur Verfügung. Diese Lebensbereiche umfassen die soziale Teilhabe, die Teilhabe an Bildung, die Teilhabe am Arbeitsleben und die Teilhabe an medizinischer Rehabilitation. Diese Bereiche werden durch das Bundesteilhabegesetz im SGB IX geregelt, und die wichtigsten Bestimmungen sind seit 2020 wirksam.

Wolfgang: Das ist eigentlich noch nicht so lange. Ich glaube, dass sich die Vorgehensweisen und Anpassungen noch nicht so gut eingespielt haben. Wenn ich zum Beispiel an Pflegefamilien denke, wie bei uns, haben wir eine Übergangsphase von drei Jahren, also bis unsere Zwillinge 21 Jahre alt sind. Und wir haben frühzeitig diese Eingliederungshilfe beantragt. Kannst du etwas darüber sagen, wie man am besten vorgeht?

Frauke: Die Art der Hilfe unterscheidet sich, ob es sich um eine Leistung der Jugendhilfe oder eine Leistung der Eingliederungshilfe handelt. Ein Kriterium für die Zuordnung ist der IQ eines Kindes oder jungen Menschen mit FASD. Liegt der IQ unter 70, fällt die Zuständigkeit an den Träger der Sozialen Eingliederungshilfe. Liegt der IQ bei 70 oder darüber, ist die Jugendhilfe zuständig.

Umwandlung nach § 35a – 19:17

Es ist wichtig, dass Kinder mit FASD, bei denen eine klare Diagnose vorliegt und entsprechende Beeinträchtigungen bestehen, die Hilfe gemäß §35a umgewandelt wird. §35a regelt die Hilfe der Eingliederungshilfe für junge Menschen mit seelischer Behinderung. Ich kann dringend empfehlen, dies frühzeitig in Betracht zu ziehen, insbesondere wenn es um eine Unterbringung gemäß Paragraph 33 geht, die nur für Pflegekinder gilt. Bei §35a besteht die Möglichkeit, dass die Hilfe gegebenenfalls bis zum 27. Lebensjahr verlängert werden kann. Dadurch endet die Unterstützung nicht bereits mit 18 Jahren, sondern erst mit 27 Jahren.

Wolfgang: Ja, direkt mal die Nachfrage: Wie funktioniert die Umwandlung in §35a?

Frauke: Da muss man einen Antrag beim Jugendhilfeträger stellen. Am besten macht man das im Rahmen des Hilfeplanverfahrens. Dazu benötigt man eine ärztliche Diagnostik, also eine Diagnose. In diesem ärztlichen Bericht muss enthalten sein, dass die Entwicklung des jungen Menschen im Vergleich zu nicht behinderten Personen um mindestens 6 Monate abweicht. Es ist wichtig, dass nicht nur die Unterbringung in der Pflegefamilie alleine umgewandelt wird, sondern dass das Kind oder der junge Mensch aufgrund seiner Behinderung einen besonderen Bedarf hat. Es reicht nicht aus, nur die Behinderung zu benennen. Der junge Mensch muss tatsächlich beeinträchtigt sein in seiner sozialen Teilhabe. Zum Beispiel Probleme haben, die Schule zu besuchen, sich nicht auf den Unterricht konzentrieren zu können, Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Schülern in seiner Klasse zu haben oder Lernschwierigkeiten aufgrund seiner Beeinträchtigung zu haben. Wenn festgestellt wird, dass ein Kind eine Schulbegleitung benötigt, ist das bereits eine Maßnahme nach §35a. Diese Schulbegleitung wird von der Jugendhilfe finanziert, da sie als Teilhabeleistung zum Besuch der Schule zählt.

Wolfgang: Das war mir auch noch nicht bekannt, dass das auch auch wenn man in der Jugendhilfe als Pflegefamilie finanziert wird, dass man diese Umwandlung gemäß Paragraph 35a vor dem 18. Lebensjahr vornehmen kann und sollte. Dadurch sind die Übergangsphasen besser geregelt, da junge Menschen mit anderen Herausforderungen konfrontiert sind, insbesondere in der Pubertät und bezüglich Schule oder Ausbildung. Es gibt so viele Themen, mit denen sie sich beschäftigen müssen, dass eine solche Umstellung in der Finanzierung zusätzlich verwirrend wirken kann.

Einschränkung der sozialen Teilhabe – 22:42

Frauke: Das wichtigste Kriterium ist die Einschränkung der sozialen Teilhabe. Es muss ein Bedarf dafür bestehen, um diese Leistung zu erhalten. Ich empfehle das allen Familien. Viele wissen es nicht, und auch viele Fachberater in der Jugendhilfe sind nicht darüber informiert, dass junge Menschen mit FASD, wenn sie Probleme bei der sozialen Teilhabe haben, die Möglichkeit haben, eine Assistenzkraft für die Freizeitbegleitung zu beantragen. Viele Kinder, junge Menschen und Jugendliche müssen begleitet werden, wenn sie alleine unterwegs sein wollen oder sich mit Freunden treffen möchten. Man muss darauf achten, da sie leicht manipulierbar sind und Schwierigkeiten haben, Grenzen zu setzen. Es besteht die Gefahr, dass sie in ungünstige Situationen geraten, wie Alkoholkonsum, Drogen oder kriminelle Handlungen, um bei anderen beliebt zu sein. Mit einer Freizeitbegleitung sind sie besser geschützt, sodass solche Dinge nicht passieren können. Ich habe schon erlebt, dass einem Jungen, der war schon 18. Dessen Jugendhilfeleistung nach §35a wurde verlängert und es wurde eine Assistenzkraft für die Freizeitbegleitung bewilligt. Die Investitionen der Pflegeeltern und die positive Entwicklung des jungen Mannes waren gefährdet, wenn er alleine unterwegs sein wollte. Es kam vor, dass er mit Freunden oder in einer Gruppe unterwegs war und Alkohol getrunken wurde. Die Passanten fanden ihn später fast im Koma am Rhein. Deshalb haben wir gesagt, dass der Junge einfach geschützt werden muss. Das Jugendamt hat dem zugestimmt, und es wurden zehn Stunden Assistenz pro Woche bewilligt. Wir haben dann Kontakt zur Fachhochschule für Sozialpädagogik aufgenommen und einen Studenten gefunden, der ungefähr im gleichen Alter wie der Junge war. Er fand es toll, dass er einen Kumpel hat. Und das fiel garnicht auf, dass ihm jemand zur Seite stand, dass nichts passiert. Also auch für junge Menschen ist das möglich.

Wolfgang: Viele, die mit jungen Menschen mit FASD zu tun haben, machen die Erfahrung, dass sie in ungünstige Abhängigkeitsverhältnisse geraten. Wir haben diese Erfahrung auch schon mit einem unserer Zwillinge gemacht.

Umstieg aus der Jugendhilfe – 26:04

Das betrifft jetzt vor allem diejenigen, die noch in der Jugendhilfe sind. Können wir jetzt zum Thema des Übergangs von der Jugendhilfe zur Eingliederungshilfe kommen? Also, wenn die Jugendhilfe beendet wird, hört der Hilfe- und Unterstützungsbedarf nicht auf. Wenn junge Erwachsene weiterhin entsprechende Unterstützung erhalten möchten, müssen sie Eingliederungshilfe beantragen, entweder mit Hilfe der Pflegeeltern oder anderer Betreuer.

Frauke: Auch junge Menschen mit FASD, bei denen die Teilhabe beeinträchtigt ist, haben Anspruch auf Leistungen gemäß dem Teilhabegesetz. Das hängt damit zusammen, dass, wenn sie immer noch bei ihrer Pflegefamilie leben und die Pflegegeldzahlungen eingestellt wurden, unterschiedliche Möglichkeiten bestehen. Aktuell sind wir gerade dabei, den Übergang junger Volljähriger in der Pflegefamilie zu klären, da dies rechtlich und finanziell noch nicht eindeutig geregelt ist. Bei jungen Menschen, bei denen die Eingliederungshilfe für die Unterbringung zuständig war, stellen wir Anträge, um die Hilfe in der gleichen Form fortzusetzen. Theoretisch sollte dies auch für Menschen möglich sein, bei denen die Jugendhilfe beendet wurde, und die dann über die Eingliederungshilfe finanziert werden. Es gibt ein Urteil des Bundessozialgerichts, wonach die Leistungen der Eingliederungshilfe grundsätzlich nicht befristet werden dürfen und in gleicher Form fortgesetzt werden müssen, solange sich der Bedarf nicht geändert hat. Ich kann jedoch nicht sagen, ob in diesem Fall weiterhin die Jugendhilfe für die Kosten zuständig ist, aber das Jugendamt ist auch ein Rehabilitationsträger, wie zum Beispiel die Agentur für Arbeit, die Rentenversicherung oder die Krankenversicherung. Daher sollte das Jugendamt die Hilfe grundsätzlich weiterhin gewähren.

Wolfgang: Das ist doch das Urteil von 2021, glaube ich. Ich habe mal reingeschaut. Es ging darum, dass jemand das persönliche Budget beantragt hatte und es befristet wurde. Das Bundessozialgericht hat dann entschieden, dass eine Befristung nicht zulässig ist. Das betrifft auch im Allgemeinen die Leistungen der Eingliederungshilfe, dass diese also nicht befristet werden dürfen. Es ist ja nicht anzunehmen, dass Menschen mit Behinderungen nach bestimmten Maßnahmen diese Beeinträchtigung nicht mehr haben.

Betreuungsleistung in der Familie – 29:01

Frauke: FASD, also die Hirnschädigung, ist irreparabel. Ich möchte noch einmal auf die Möglichkeit hinweisen, dass wenn ein junger Mensch in einer Pflegefamilie ist und die Hilfe nicht in der gleichen Form fortgesetzt wird, der rechtliche Betreuer dies beim Träger der Eingliederungshilfe beantragen kann. In Nordrhein-Westfalen sind dies die örtlichen Träger der Sozialhilfe. In anderen Bundesländern kann es unterschiedlich sein. Die Pflegeeltern können dann für den jungen Menschen andere Betreuungsleistungen in der Familie beantragen. Ich empfehle den Familien immer, aufzulisten, wie viele Stunden sie am Tag den jungen Menschen betreuen. Dies kann variieren, je nachdem ob sie eine Ausbildung machen oder in einer Werkstatt arbeiten, usw. Wenn sie morgens um etwa 7 oder halb 8 Uhr aus dem Haus gehen, dauert die Betreuung normalerweise von 6 bis 8 Uhr, um sicherzustellen, dass der junge Mensch aufsteht, sich anzieht, frühstückt, usw. Das sind dann schon einmal anderthalb bis zwei Betreuungsstunden am Morgen. Nachmittags sind das auch nochmal 4 oder 5 Stunden. Dann kommen nochmal Samstag und Sonntag 8 Stunden pro Tag hinzu, weil sie auch viel selbst machen und in ihrem Zimmer sind. Aber es ist so , dass man den jungen Menschen intensiv über 8 Stunden begleitet. So kommt man wöchentlich auf 45 Stunden, was monatlich etwa 190 bis 200 Stunden ergibt. Legen wir eine Betreuungspauschale von 12,50 € pro Stunde zugrunde, die auch nicht versteuert werden muss. Dadurch kommt man insgesamt auf einen Betreuungsbetrag von etwa 2000 bis 2500 € im Monat. Davon muss man noch die Leistungen der Pflegeversicherung abziehen, da diese das gleiche Ziel wie die Betreuung und Pflege des jungen Menschen haben. Somit kommen die Familien im Grunde genommen auf den gleichen Betrag wie früher oder möglicherweise sogar etwas mehr Betreuungsleistungen, die sie vorher als Pflegegeld erhalten haben (zwischen 1500 und 1800 €), abhängig von den verrechneten Stunden. Diese Leistungen sollten sie beim Träger der Eingliederungshilfe beantragen.

Existenzsichernde Leistungen – 32:04

Durch das Bundesteilhabegesetz haben sich die Leistungen verändert, insbesondere dass die Betreuungsleistungen von den Existenzsicherungsleistungen getrennt sind. Der Träger der Eingliederungshilfe ist nicht mehr für die Existenzsicherung zuständig. Für die Existenzsicherung sind entweder das Jobcenter zuständig, wenn der junge Mensch erwerbstätig ist, oder das Sozialamt mit der Grundsicherung. Diese existenzsichernden Leistungen müssen separat beantragt werden und umfassen den Regelsatz sowie die Kosten für Unterkunft. Wenn Familien in einer Mietwohnung leb en, wird eine Kopfpauschale angewendet, bei der die Miete und Nebenkosten proportional auf die Personenzahl im Haushalt aufgeteilt werden. Der Prozentsatz für den jungen Menschen, der Grundsicherung beantragt, ist abhängig von den Umständen.

Für Familien, die in einem Eigenheim leben, gelten andere Regelungen. Sie müssen mit dem jungen Menschen einen Mietvertrag abschließen, wofür wiederum die Ergänzungsbetreuung zuständig ist, da man keinen Mietvertrag mit sich selbst abschließen kann. Wichtig ist dabei, dass es ein Urteil des Bundesfinanzhofs gibt, wonach die Miete nicht versteuert werden muss, wenn nur einzelne Räume vermietet werden und der junge Mensch kein eigenes Badezimmer oder eine eigene Küche hat, sondern diese gemeinsam genutzt werden. Dieser Hinweis ist entscheidend, um Probleme mit dem Finanzamt zu vermeiden.

Es ist wichtig, dass die Unterbringung oder wenn der junge Mensch weiterhin bei seinen Pflegeeltern leben möchte, der Unterhalt und die Betreuungsleistung gesichert sind. Im Bundestag wurde bereits eindeutig geregelt, dass der junge Mensch selbst entscheiden kann, wo und wie er leben möchte. Das Recht auf freie Wahl und Entscheidung, wo man mit wem leben möchte, kann nicht vorgeschrieben werden. Es wird oft von Jugendämtern oder den Kostenträgern behauptet, dass der junge Mensch sich langsam selbstständig machen müsse, aber es ist bekannt, auch aus der amerikanischen Literatur, dass junge Menschen mit FASD möglicherweise bis zum Alter von 28 Jahren länger brauchen als andere junge Erwachsene mit 18 Jahren. Sie benötigen einfach mehr Zeit, und es ist wichtig, dass sie nicht aus der Hilfe herausfallen. Es ist gut, wenn sie weiterhin Unterstützung durch ihre Pflegeeltern haben, auch wenn unsere jungen Menschen mit der Zeit unabhängiger werden müssen, vielleicht zu einem etwas späteren Zeitpunkt.

Eigene Wohnung – 35:19

Wolfgang: Ich könnte jetzt noch viele Fragen stellen und nachhaken. Auch unsere Hörerinnen und Hörer haben sicherlich viele Fragen und benötigen wahrscheinlich dringend Beratung, da es so viel zu beachten gibt und viele beteiligte Ämter involviert sind. Dennoch gehen wir jetzt einen Schritt weiter. Unsere jungen Menschen möchten ausziehen und in eine eigene Wohnung oder in eine Wohngruppe ziehen. Dann kommt der Begriff des ambulant betreuten Wohnens zum Tragen, der ein Teil der Eingliederungshilfe ist und in verschiedener Weise gestaltet werden kann. Hast du Erfahrung in diesem Bereich?

Frauke: Ja. Wenn junge Menschen alleine in einer Wohnung leben möchten, aber Bedenken bestehen, dass sie alleine nicht gut zurechtkommen, haben sie Anspruch auf Assistenzleistungen. Das bedeutet, dass ein Fachdienst möglicherweise einmal täglich für eine Stunde vorbeikommt und den jungen Menschen unterstützt. Diese Unterstützung kann unterschiedlich aussehen. Es wird zwischen qualifizierter und einfacher Assistenz unterschieden. Bei der qualifizierten Assistenz wird der junge Mensch angeleitet, wie er mit seinem Geld umgeht, wie er Einkäufe erledigt und wie er die Wohnung pflegt. Ziel ist es, dass er alleine zurechtkommt, aber dennoch regelmäßige Unterstützung erhält. Es kann sein, dass er dadurch motiviert wird, sich mehr Mühe zu geben. Ich hatte beispielsweise ein junges Mädchen, die war ein Jahr alt, als ich sie in eine Pflegefamilie vermittelt habe. Sie ist jetzt auch ausgezogen, da die Pflegeeltern eine Wohnung für sie angemietet haben. Aber sie benötigt regelmäßige Kontrolle, da sie sonst ihre Wohnung vermüllen lässt und sich um nichts kümmert. Wenn niemand da wäre, der sie in solchen Angelegenheiten unterstützt, würde sie in einem Messi-ähnlichen Zustand enden oder ihre Post ungeöffnet auf dem Tisch liegen lassen. Sie interessiert sich nicht dafür, was das Jobcenter oder die Krankenversicherung zu sagen hat. Daher ist es sehr wichtig, dass es in den ersten Monaten oder je nach Bedarf Unterstützung gibt.

Wolfgang: Das ist so, dass man genau schauen muss, wo jemand Unterstützung braucht und in welchen Bereichen. Auch die Freizeitassistenz und Urlaubsreisen müssen berücksichtigt werden. Gibt es da Möglichkeiten zur Unterstützung?

Wohngemeinschaft – 38:36

Frauke: Ich möchte noch einmal zurückkommen. Wenn drei junge Menschen zusammen in eine Wohngemeinschaft ziehen und alle drei einen Pflegegrad haben, haben wir die Möglichkeit, zusätzliche Leistungen von der Pflegeversicherung zu erhalten. Es handelt sich dabei um einen Wohngemeinschaftszuschlag in Höhe von 214 Euro pro Monat. Voraussetzung ist, dass sie eine Person beauftragen, die die Organisation dieser Wohngemeinschaft übernimmt. Das ist eigentlich eine gute Sache. Außerdem erhalten sie, glaube ich, bis zu 2500 € zur Einrichtung der Wohnung, wenn sie eine neue Wohngemeinschaft gründen. Das ist etwas, worüber viele vielleicht nicht Bescheid wissen.

Wolfgang: Ja, das muss man alles wissen. Gibt es eigentlich ein Buch oder eine Broschüre, in der das alles steht, oder muss man es mühsam einzeln zusammentragen?

Frauke: Es gibt eine gute Broschüre vom Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte mit dem Titel „Mein Kind ist behindert – Diese Hilfen gibt es“. Dort steht sehr viel drin aus den unterschiedlichen Bereichen, wie den Ansprüchen gegenüber dem Träger der Eingliederungshilfe, der Pflegeversicherung und dem Schwerbehindertenrecht. Es werden alle Möglichkeiten aufgezeigt, die man in Anspruch nehmen kann, wenn man ein Kind oder einen Jugendlichen mit Behinderung in seiner Familie betreut.

Wolfgang: Könntest du mir einen Link dazu schicken, damit ich das weitergeben kann?

Frauke: Die Broschüre ist so verständlich und umfassend, wo wirklich alles darin steht.

Wolfgang: Und sie ist auch halbwegs aktuell?

Frauke: Ja, sie wird regelmäßig aktualisiert.

Wolfgang: Ja, ich fürchte, unsere Zeit hier ist schon fortgeschritten, daher können wir nicht auf all diese Ideen eingehen.

Frauke: Wir haben tatsächlich viele Adoptiveltern, die sich mit diesen Fragen beschäftigen.

Wolfgang: Ja, gut, dass du das ansprichst.

Frauke: Adoptiveltern werden nicht mehr zur Finanzierung der Leistungen der Eingliederungshilfe herangezogen, wenn die Kinder volljährig sind. Das ist meiner Meinung nach sehr wichtig. Nur der junge Mensch selbst muss über sein eigenes Einkommen verfügen oder sich an den Kosten beteiligen können. Aber es ist besonders wichtig, dass die Eltern nicht mehr herangezogen werden und auch nicht die Ehepartner. Das Einkommen der Eltern ist nicht relevant, wenn jemand Leistungen beantragt.

Urlaubsassistenz – 41:35

Du hattest vorhin auch das Thema Urlaub angesprochen. Ich finde, junge Menschen fahren gerne in den Urlaub, und auch eine Begleitung oder Assistenz während des Urlaubs kann aus den Leistungen der Eingliederungshilfe finanziert werden. Es muss begründet werden, dass der junge Mensch einen besonderen Bedarf hat, nicht alleine verreisen kann und einfach eine Begleitung benötigt. Jeder junge Mensch hat seine individuellen Gründe dafür, warum er Unterstützung benötigt. Dann werden alle Kosten für die Begleitperson sowie die Betreuungsleistung von der Eingliederungshilfe übernommen.

Wenn wir Kinder haben, die beispielsweise an Freizeiten der Lebenshilfe teilnehmen oder an Ferienfreizeiten, dann können wir beim Antrag auf Eingliederungshilfe angeben, dass die Kinder während der Schulferien, zum Beispiel den Sommerferien, Kontakt zu anderen Kindern haben sollen. In solchen Fällen werden teilweise oder sogar die gesamten Kosten, wie Reisekosten, Unterkunft und Verpflegung, von der Eingliederungshilfe übernommen. Es gibt zwar Kostenträger, die argumentieren, dass Verpflegung und ähnliches auch zu Hause möglich wären und dafür nicht übernommen werden sollten, aber grundsätzlich werden bei allen Freizeitmaßnahmen und Urlaubsreisen die Kosten für die Assistenz übernommen. Als Beispiel habe ich ein junges Mädchen, das in eine Einrichtung gewechselt hat und eine geistige Behinderung hat. Sie hat früher gerne sportliche Aktivitäten in der Pflegefamilie wahrgenommen. Wir haben nun einen Antrag gestellt, dass sie zum Fußballverein oder in die Kletterhalle gehen kann, da sie dies alleine nicht bewältigen kann. Das ist der Bedarf, den dieses Kind hat, um weiterhin seine sportlichen Aktivitäten ausüben zu können. Zunächst wurde der Antrag abgelehnt, aber wir sind in Widerspruch gegangen und würden notfalls auch klagen, denn es kann nicht sein, dass sie aufgrund der Einrichtung und fehlendem Personal diese sportlichen Aktivitäten nicht mehr wahrnehmen kann.

Zusammenfassung – 44:14

Wolfgang: Wir haben jetzt einen umfassenden Überblick über verschiedene Betreuungsleistungen gegeben. Angefangen haben wir mit der gesetzlichen Betreuung oder rechtlichen Betreuung, dann Leistungen, wenn Menschen mit Beeinträchtigungen noch in Pflegefamilien oder bei ihren Familien leben. Dann haben wir den Unterschied zwischen Jugendhilfe und Eingliederungshilfe besprochen und den Übergang zur Eingliederungshilfe oder die Umwandlung nach Paragraph 35a. Wir haben darüber gesprochen, wie der Umstieg für junge Menschen gelingen kann, wenn sie nach dem Teilhabegesetz das Recht haben, so zu leben, wie sie es möchten, sei es in einer selbstständigen Wohnsituation oder in einer Wohngruppe. Es gibt mit Sicherheit noch viele weitere Betreuungsleistungen, die wir möglicherweise vergessen haben, aber das ist bereits ein recht guter Überblick, den wir gegeben haben. Ich finde dein Engagement in all diesen Bereichen sehr beeindruckend. Und nun meine letzte Frage:

Woher nimmst du diese Energie? – 45:28

Frauke: Es macht mir einfach Freude und Spaß, Menschen mit Beeinträchtigungen zu unterstützen. Ich tue das nicht nur beruflich, sondern auch im privaten Bereich. Ich verfolge meine Ziele und wenn ich überzeugt bin, dass es richtig ist, gebe ich einfach nicht auf. Das habe ich bereits während meiner beruflichen Laufbahn gelernt, als ich in leitender Position tätig war. Wenn man sich etwas vorgenommen hat, sollte man es nicht aufgeben, sondern alle Wege gehen. Ich bin in allen Bereichen meines Lebens immer wieder auf Hindernisse gestoßen, aber wie gesagt, ich habe mein Ziel nie aus den Augen verloren. Ich komme aus der Individualpsychologie, wo es das Konzept der Zielverfolgung gibt – man geht ein Problem an und lässt nicht locker.

Wolfgang: Vielen Dank für all deine Informationen.

Frauke: Es ist mir noch wichtig zu betonen, dass man nicht aufgeben sollte. Wenn man auf herkömmlichen Wegen nicht weiterkommt, sollte man sich wirklich an Politiker wenden. Es gibt immer Politiker, die daran interessiert sind und sich vielleicht damit profilieren wollen oder können. Das ist eine große Chance, die notwendige Hilfe für sein Kind zu erhalten.

Wolfgang: Vielen Dank noch einmal für diese guten Ratschläge und Ermutigungen, nicht aufzugeben, auch angesichts der vielen Hindernisse, die uns im Weg liegen. Ich denke, alle unsere Hörer können ein Lied davon singen, wie schwierig es manchmal ist und wie viele Versuche es braucht.

Liebe Hörerin und lieber Hörer, weitere Informationen findest du in den Show Notes zu dieser Episode. Du kannst den Podcast auch ganz bequem mit einer App deiner Wahl abonnieren. Schau doch mal bei Apple Podcasts, Spotify, Google Podcasts oder einer Android-App nach „Chaos im Kopf Podcast“ und klicke auf den Abonnieren-Link. Du findest auch Links dazu auf meiner Podcast-Seite unter chaosimkopf.info/pod.

Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit und nochmals vielen Dank für deine Zeit und Expertise in diesem Interview, Frauke Zottmann-Neumeister.

Frauke: Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg bei deinem Engagement für unsere jungen Menschen. Sie haben es verdient.

Wolfgang: Danke, tschüss.

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  1. Danke für diese Informationen und für Deine Mühen immer wieder etwas neues berichten zu wollen. Wir konnten diesen Beitrag für unseren Pflegesohn (17) sehr gut gebrauchen.
    Die Infos haben wir auch an unseren Pflegedienst

    Bethel.regional | Familie Leben,
    heilpädagogischer Pflegekinderdienst
    Bolbrinkersweg 12
    33617 Bielefeld
    Tel.: 0521 144-1265
    Fax: 0521 144-5440
    Geschäftsstellen von Bethel.regional in den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel

    weitergegeben.

    Hier ist man auch sehr engagiert für die dort 120 betreuten Pflegefamilien (natürlich auch mit FASD)
    immer das optimale zu suchen. Informationen über div. Möglichkeiten sind hier immer willkommen.

    Mit 17 / 18 Jahren muss man doch so einiges beachten um die Kinder weiter zu fördern und selbst auch die Möglichkeiten zu nutzen und zu fordern die es gibt..
    Ich Danke Dir nochmals für diesen Beitrag C 60.

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  3. Hallo Wolfgang hallo Frau Zottmann-Neumeister,

    dies war im Jahr 2023 der Highlight aller informativen Podcast für mich. Natürlich nur für diejenigen besonders Interessant die Kinder ab 17 haben.
    Ich möchte mich nochmals herzlich für das Transcript und die vielen Links zu Informationen bedanken.

    Leider bekommt man diese nicht von den zuständigen Jugendämtern.

    Herzliche Grüsse und ich bleibe weiterhin ein treuer Zuhörer und werde mich immer wieder motivieren, wieviel gutes wir unserem Pflegekind übermitteln, auch wenn es nicht immer die erwarteten Rückmeldungen von diversen Seiten gibt.

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